Andacht, Raumklang und flotte Rhythmen

Hella Schreiber im Tagblatt vom 18.12.2023

Ein kleines Fest der Chormusik: das Weihnachtskonzert des Chores Semiseria in der Martinskirche unter Leitung von Frank Schlichter.

Die Martinskirche ist zwar keine Kathedrale, dafür bietet sie eine natürliche Akustik in einem schönen Raum-Oval, das Frank Schlichter und „seine“ Semiseria nun für ihr Weihnachtskonzert nutzten. Das Programm verkörperte den hohen Anspruch des derzeit etwa 45-köpfigen Ensembles: Zum einen hielt es, so Frank Schlichter, mit Werken von Felix Mendelssohn Bartholdy Rückblick auf das vergangene Jahr, in dessen Mittelpunkt eine Aufführung des Oratoriums „Paulus“ stand, zum andern erweiterte es den Blick auf passende Originalkompositionen aus aller Welt. Das war Chormusik vom Feinsten, von „Semiseria“ gewohnt souverän in differenzierte Vielstimmigkeit umgesetzt. Ein Wermutstropfen trübte die Freude: das klanglich unbefriedigende Klavier, auf dem Friedemann Treutlein den Chor begleiten musste.

Für das Publikum wurde der Abend zu einem intensiven Erlebnis, denn in dem kleinen Kirchenoval rückten die Stimmen nah ans Ohr und entfalteten einen plastischen Raumklang, zumal wenn die Singenden ihre Zuhörer von außen her in die Mitte nahmen. Dabei bewiesen sie bewundernswerte Solo-Qualitäten, von Frank Schlichter präzise inspiriert.

Eine Premiere für den Chor

Als Säulen des Programms dienten fünf Mendelssohn-Chorwerke, darunter solche aus „Paulus“; für Abwechslung sorgten unterschiedliche Aufstellungen und Besetzungsvarianten sowie die eher unbekannten neueren Chor-Kompositionen, die man hier kennenlernen durfte: ein Weihnachtslied des Schweden Nordqvist, „O magnum mysterium“ von Trotta und ein Wiegenlied von Stopford, alle mit großer Ruhe und langem Atem vorgetragen.

Die beiden Erholungspausen für die Stimmen füllte Friedemann Treutlein mit Werken für Solo-Klavier: einem von Villa-Lobos’ Kinderstücken (A prole do bebé), später der Novelette Nr. 2 von Robert Schumann. Die virtuose und facettenreiche Klangkunst, die er dem Instrument abtrotzte, belebte die Vokalmusik mit funkensprühenden Klavier-Kontrasten.
Auch eine Premiere war zu erleben: „Ubi Caritas“ von Ola Gjeilo hatte „Semiseria“ zuvor noch nicht öffentlich aufgeführt. Darin entwickelt sich aus gregorianischer Schlichtheit heraus eine farbige Mehrstimmigkeit, die aufhorchen ließ; die fesselnde Aufführung ließ nicht erahnen, dass dieses Stück frisch einstudiert war.

Zum Schluss hin ging es zurück zur volkstümlichen Tradition, zunächst mit zwei Bearbeitungen von John Rutter, danach teilte sich der Chor in Männer- und Frauenstimmen. Bei „Es wird scho glei dumpa“ durfte man sich wie vor 100 Jahren in einer alpenländischen Dorfkirche fühlen, wenn ein Männerchor sang. Die Frauen des Chors boten Paroli mit dem Samba-inspirierten „Cantemos a Maria“, stilecht und mitreißend auf einer Rassel begleitet. Den Abschluss bildete eine Friedensbitte von Mendelssohn, begeisterter Applaus und eine jazzige Dreingabe.

Hella Schreiber